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Die Legende zu den Fundstücken finden Sie im Hiroshima-Archiv des Fotografen Hiromi Tsuchida




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Vorwort


"Wir leben im Zeitalter der nuklearen Riesen und der ethischen Zwerge, in einer Welt, die Brillanz ohne Weisheit, Macht ohne Gewissen erreicht hat. Wir haben die Geheimnisse des Atoms entschleiert und die Lehren der Bergpredigt vergessen. Wir wissen mehr über den Krieg als über den Frieden und mehr über das Sterben als über das Leben."

US-General Omar Bradley, Zeuge der Folgen von Hiroshima und Nagasaki

In meiner Grundschulzeit kursierte folgende Frage, mit der die Religionslehrerin geärgert werden sollte: "Kann Gott einen so großen Stein schaffen, den er selbst nicht tragen kann?" Die "göttliche Allmacht" aus dem Glaubensbekenntnis von Nizäa (325 n. Chr.) wird gewöhnlich mit Hilfe unserer Wahnvorstellungen von Omnipotenz und totaler Beherrschung verstanden. Deshalb bleibt das kniffelige Rätsel, welches im Rahmen einer glaubwürdigen Religion keinerlei Sinn ergibt, unlösbar. Vielleicht ist das voreilig gesagt. Der Mensch könnte jener Felsenstein sein, der Gott entgleitet und den er nicht mehr tragen kann. Sicher wissen wir - spätestens seit Hiroshima und Nagasaki: Der Mensch kann einen Stein machen, der so groß ist, daß er ihn selbst nicht zu tragen vermag. Er hat sich seinen eigenen physikalischen Feind gemacht. Dieser selbstgemachte Feind bedroht das Leben der Menschheit, doch diese kann ihn offenbar nicht mehr aus der Welt schaffen.
Wenn wir nun schon Tag für Tag unsere eigene Sterblichkeit verdrängen, wie sollten wir es bei der Möglichkeit, daß die gesamte Menschenfamilie für immer verschwindet, anders halten? Der Schrecken darüber, daß unsere Zivilisation eine Allmacht des Todes hervorgebracht hat und hernach unfähig blieb, die Begabungen zur Lebensförderung weiterzuentwickeln, ist zu groß. Unsere Psyche kann die Atombombe und andere totale Bedrohungen gar nicht fassen. Auch wenn der Kopf die Bedeutung der Atombombe versteht, so gibt es doch im Bauch eine Gewißheit darüber, daß das Leben ewig ist und der Kreislauf des Lebens nie aufhört. Wenn der Kopf wahrnimmt, riskieren wir Bitterkeit oder Verzweiflung. Wenn nur der Bauch spricht, bleiben wir blind für eine realistische Wahrnehmung der Welt. Beides muß zusammenkommen: die Liebe zum Leben und die klarsichtige Erkenntnis über das Wesen unserer Zivilisation.
Zu den Betäubungen, die auf unterschiedliche Weise das zerstörerische Zivilisationsprojekt stützen, gehören lähmende Angstpropaganda und Einschläferungen, die vorgeben, ganz rational zu sein. Ihnen sind mannigfache religiöse Angebote beigesellt. Die Spiritualitätsindustrie bietet ein reichhaltiges Produktsortiment an, weil man ja auch ab und zu was Religiöses braucht. Es ist erstaunlich, wie viele gut funktionierende Gewinner und Täter religiös sind. Die meisten Angebote schüren und zähmen die Angst. Sie lassen die Krisen des Weltgeschehens am Ende ganz harmlos erscheinen. Manche Menschen flüchten in ewige Wahrheiten, die vom leibhaftigen Weltgeschehen stets ganz unberührt bleiben und deshalb keine Gefahr kennen. Andere lassen sich in alleinseligmachende Kirchen und infantile Predigtveranstaltungen entführen, die ihnen Geduld lehren. Die Unterhaltungsindustrie lädt uns ein, in den allgemeinen Gagaismus einzustimmen und auf eine vernünftige Diagnose des Weltgeschehens ganz zu verzichten. In den Todeskulten wird die totale Zerstörung selbst zum Glaubenssatz. Das Ende ist schon entschieden, und deshalb gibt es keinen Anlaß zur Sorge mehr. Man muß nur abwarten und hoffen, daß "es" endlich eintrifft. ... Da dieses Buch als christlicher Beitrag durchaus auch "religiös" sein möchte, sei eine Abgrenzung zum Weltanschauungsmarkt erlaubt: Was unsere Vernunft benebelt, kann keine haltbare Herzenswahrheit sein. Wer gleichgültig bleibt gegenüber dem Geschick des Lebens auf der Erde, kann unmöglich mit einer wahren Religion in Berührung stehen. Wen die Zukunft von jetzt lebenden oder noch nicht geborenen Kindern kaltläßt, der sollte sich nicht als fromm betrachten.

Dieses Buch enthält zwei Teile: Die ersten beiden Kapitel dienen besonders der historischen Erinnerung, die beiden nachfolgenden beschäftigen sich mit der kirchlichen und theologischen Bedeutung des "Themas":
Das erste Kapitel erinnert an Hiroshima, Nagasaki und die Folgen. Was war vorausgegangen? Was bedeuteten die beiden ersten Atombombenabwürfe für Menschen, die am eigenen Leib betroffen waren? Welche Entwicklung der Weltgeschichte setzte die neue Waffe in Gang? Was bedeutet die Atombombe für uns alle?
Im zweiten Kapitel müssen wir feststellen, "daß Geschichte oft nicht das ist, was wirklich geschah, sondern das, was als solches aufgeschrieben wird." (Henry L. Stimson) Bis heute ist es gelungen, die Selbstrechtfertigungen des verantwortlichen Befehlsgebers für die Atombombenabwürfe als maßgebliche Erinnerung zu etablieren. Daraus erwächst - ebenfalls anhaltend - eine zynische Gedächtniskultur. Die Verdrängung bzw. Geschichtslüge beantwortet zum Teil auch die Frage, warum unsere Zivilisation seit dem 6. und 9. August 1945 keinen nachhaltigen Lernschritt gegangen ist.
Das dritte Kapitel beleuchtet die Bedeutung der Atombombe für das Christentum, das sich als Religion des "Friedensfürsten" versteht. Wie haben Christen auf "Hiroshima und Nagasaki" reagiert, und welche Rolle spielen sie bei dem Ereignis? Ist die "Bombe" nicht eigentlich ein Produkt des sogenannten Abendlandes? In der Frühzeit der Kirche und in den staatskirchlichen Jahrhunderten gab es - bezogen auf den Krieg - jeweils eine völlig verschiedene Christenpraxis. Im Atomzeitalter setzte sich - wenn auch mit einiger Verspätung - wieder die Erkenntnis durch, der Krieg sei nunmehr endgültig aus der Welt zu schaffen. Daneben gab es aber auch Christen, die sich ausdrücklich für die Atombombe stark machten. Was ist nach sechs Jahrzehnten aus dem Atompazifismus der Kirchen geworden?
Das vierte Kapitel ist vom Wunsch geleitet, die Kirchen möchten sich mit einem zivilisatorischen Ernst1 der Frage des Krieges zuwenden und es nicht bei frommen Bekenntnissen belassen. Die neuen Atomwaffen dienen nicht der Abschreckung, sondern sollen in wirklichen Kriegen zum Einsatz kommen. Der überwunden geglaubte "gerechte Krieg" verkleidet sich heute als "humanitäre Intervention" oder "Terroristenjagd". Die massenkulturelle Propaganda für den Krieg läuft auf Hochtouren. Seit den neunziger Jahren ist der globale ökonomische Hintergrund aller Kriegsplanungen nicht mehr zu leugnen.
Folgende Fragen sind zu stellen: Soll die grundlegende Einstellung zum Krieg noch im Horizont zeitloser Lehrsysteme verhandelt werden, die immer richtig sind und nichts bewirken? Muß die christliche Ökumene nicht vielmehr - angesichts neu aufgelegter Kriegsideologien und auch angesichts neuer Waffentechnologien - konkret werden wie es nur eben geht? Gelingt es uns, die Geschichte ernster zu nehmen, als etwa Augustinus es tat?
Das Wort "Ökumene" steht in diesem Buch nicht nur und nicht einmal vorrangig für die Gesamtheit der Christen, sondern auch für den ursprünglichen Horizont der Kirchen. Die Christen der ersten Jahrhunderte wollten den Erdkreis nicht beherrschen wie das römische Imperium. Sie betrachteten ihren neuen, gewaltfreien Weg aber als Perspektive für die gesamte bewohnte Erde (oikumene) und alle Menschen. Sie hielten durch ihre Botschaft und Lebensweise eine Zeit für angebrochen, von der die Propheten Israels gesprochen hatten, eine Völkerzeit ohne Krieg. "Vermessen!" möchte man beim Blick auf die Geschichte ausrufen und doch gegen allen Augenschein hoffen, der Anspruch würde sich im dritten Jahrtausend nicht als vermessen erweisen.


1 Mit der Wendung "zivilisatorischer Ernst" benenne ich in diesem Buch ein Bewußtsein, das den Krisenkomplex "Ökonomie, Krieg, Ökologie" nicht als Fachthema kirchlicher Spezialreferate, sondern eben als Ernstfall der Zivilisation begreift.


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